Die Sonntagspredigt vom 2. November 1997
Arthur Heilmann (Theologe):
An die Melancholie
Verarge mir es nicht, Melancholie,
Daß ich die Feder, dich zu preisen, spitze
Und, preisend dich, den Kopf gebeugt zum Knie,
Einsiedlerisch auf einem Baumstumpf sitze.
So sahst du oft mich, gestern noch zumal,
In heißer Sonne morgendlichem Strahle:
Begehrlich schrie der Geier in das Tal,
Er träumt´vom toten Aas auf totem Pfahle.....
(Friedrich Nietzsche)
Viel Spaß beim Traurigsein!
(Pumuckl)
Melancholie
Liebe Freunde, Was soll das! Die Melancholie preisen? Herr Nietzsche hatte vielleicht einen morbiden Geschmack, was seine Gefühlswelt anbelangt.
Im philosophischen Wörterbuch finden wir folgenden Eintrag:
Melancholie (griech."Schwarzgalligkeit"), Schwermut, Tiefsinn, ein seelischer Zustand, der durch düstere Stimmung, traurige Vorstellungen, Schwäche des Willens gekennzeichnet ist, durch Herabstimmung des Selbstgefühls und des Selbstvertrauens. Der Melancholiker neigt zum Pessimismus, zu einer, stärker von Stimmung und Gefühl als von Tat und Wille beherrschten Lebensauffassung (Rud.Kassner, Melancholia, 1908; Dvornicovic, Psychologie der slaw. M., 1925)
Wie erleben wir Melancholie? Wir sind in einer traurigen, zugleich wehmütigen und sehnsüchtigen Verfassung. Alles was wir tun und denken, was wir empfinden, ist von dieser Stimmung eingefärbt. Wir bewegen uns wie schwere Schiffe im Nebel, wie unter einem feinen melancholischen Schleier. Jedes Auftauchen scheint sinnlos, weil dieser Schleier das Auftauchen selbst und den Willen dazu in sich einhüllt.
"...Das Leere darin. Man möchte sagen: die metaphysische Leere. Hier ist der Punkt, wo sich mit der Schwermut die Langeweile verbindet. Und zwar eine bestimmte Art der Langeweile, wie gewisse Naturen sie erleben. Sie bedeutet nicht, daß einer nichts Ernsthaftes tue, müßig gehe. Sie kann ein sehr beschäftigtes Leben durchziehen. Diese Langeweile bedeutet, daß etwas in den Dingen gesucht wird, leidenschaftlich und überall, was sie nicht haben..." ( Romano Guardini"Vom Sinn der Schwermut")
Unsere melancholische Stimmung ist uns etwas suspekt. Sie beschleicht uns in Zeiten der Verwundbarkeit, dann, wenn wir eigentlich stark und tatendurstig sein wollen. Sie ist wie eine Krankheit, eine schmerzliche Fühligkeit. Sie ist unfähig für Kompromisse, sie hat keinen Sinn für das, was machbar ist im Bereich des Möglichen, das was sich behaglich einrichten möchte. Mit ihrem fühligen Nerv sucht sie nach dem Ernst der Dinge, nach ihrer Glut, nach ihrer Erfüllungskraft. Und findet sie nicht.
„...Die Dinge sind endlich. Alle Endlichkeit aber ist Defekt. Und dieser Defekt ist Enttäuschung für das Herz, welches nach Unbedingtheit verlangt. Diese Enttäuschung breitet sich aus und wird zu einem Gefühl der großen Leere...Es gibt nichts, was wert wäre zu sein. Und nichts ist wert, daß man sich mit ihm beschäftigte."(R.Guardini)
Wenn wir bloß unlustig sind, an einem Verdruß oder einem Schmerz leiden, stellen wir fest, daß wir gleichzeitig leidenschaftlich widersprechen. Im Schmerz oder Verdruß scheint eine Behauptungskraft zu liegen, die uns anregen kann zur Gegenwehr. In der Melancholie liegt etwas anderes, Eigenes. Das Wehtuende hat etwas Ungeschütztes, Bloßliegendes. Hier fehlt eine bestimmte Widerstandskraft. Die Existenz selber - die eigene - und daß es überhaupt etwas gibt, kann uns zum Schmerz werden.
Und hier kommt Friedrich Nietzsche, um die Melancholie, die er als Gottheit anspricht, zu preisen. Unsere Begabung zur schmerzhaften Fühligkeit, zur Verwundbarkeit, zur Kompromisslosigkeit im Emotionalen, zum Loslassen der Widerstände, preist er als Lebens - Durst, Lebens - Wahl und Lebensessenz.
Du herbe Göttin wilder Felsnatur,
Du Freundin liebst es, nah mir zu erscheinen;
Du zeigst mir drohend dann des Geiers Spur,
Und der Lawine Lust, mich zu verneinen.
Rings atmet zähnefletschend Mordgelüst:
Qualvolle Gier, sich Leben zu erzwingen!
Verführerisch auf starrem felsgerüst
Sehnt sich die Blume dort nach Schmetterlingen.
Dies alles bin ich - schaudernd fühl ich`s nach
-
Verführter Schmetterling, einsame Blume,
Der Geier und der jähe Eisesbach,
Des Sturmes Stöhnen - alles dir zum Ruhme...
Laßt uns unser Leben preisen . Laßt uns unsere Lebensessenz als das Göttliche feiern in all seinen Aspekten.
Alles ist Samenkorn ( Novalis)