Arthur Heilmann (Theologe):
Die Lüge ist eine delikate femme fatale. Niemand mag sie. Niemand spricht ihren Namen gerne aus. Jeder meidet sie um (fast) jeden Preis. Und doch hat sie heimliche Liebhaber, die geradezu süchtig sind nach ihr. Als wäre sie eine Krankheit oder ein psychischer Zustand ohne Hoffnung. Aber das ist die literarische Version der Lüge. Hier ist sie - zwar inkognito - aber immer noch hoffähig.
Wir sprechen hier von der gemeinen Lüge. Dem Gegenteil der hehren Wahrheit. Und von unserem Gewissen, einer gewissen inneren Instanz, die erfahrungsgemäß den Unterschied erkennt zwischen beiden. Die den Unterschied wägt und mißt in der Gewissenstiefe. Die das Abgewägte und Befundene in den Himmel wirft (weiß) oder in die Hölle stößt (schwarz). Zurück zur Lüge... 1 Mord aus Wahrheit? Immer noch besser als die Lüge aus Verzweiflung! Die Wahrheit ist das gute Kind und die Lüge das böse. Wie Goldmarie und Pechmarie. Wie Narziss und Goldmund. Wie Hitler und Stalin. Oder wie Dick und Doof.
Durch die Lüge wird die Liebe zum Haß, das Heilige, das Hohe, das Höchste zur Blasphemie. Gründe zu lügen gibt es en masse. Alle sind schal und eklig. Sie schmecken nach 2. Wahl, nach schlechtem Geschmack, nach Hintertreppe, nach Billigsex und schlimmer viel schlimmer. Die Lüge ist peinlich wie der Griff ins Klo, wie der schlechte Witz, wie das Pornoheft im Schreibtisch.
Die Lüge kann auch lustig sein, wenn sie unertappt bleibt. Aber wehe wenn uns jemand dabei erwischt! Lügen haben kurze Beine. Sagt der Volksmund. Und der ist zumindest fast so gut wie das Gewissen. Ein faustdicker Lügner kann schon 1 Held sein und mit seiner Lüge die Fahne in die Freiheit führen. Aber wehe wehe, wenn ich an das Ende sehe... Die Wahrheit, die erhabene, die nackte, die unerbittliche, kommt immer an den Tag. Die Lüge bleibt das schleimige Laster. Die kleinen rosaroten Lügen, gemogelt, geflunkert. Die niedlichen Lügen, fast wie Marotten, Maskottchen. Dann die großen, fetten, die wahrheitsfeindlichen, die Politikerlügen, die KZ-Lügen, die Geld- und Raffgierlügen. Und dazu die Bequemlichkeitslügen, die Feigheitslügen. Alles echte Bösewichter. Schwere Geschütze gegen das Gewissen, das reine, das uns doch die Wahrheit eintrichtert.
Nun Gewissen - zeig uns doch einmal aus welchem Stoff Du gemacht bist! Der Hohepriester, der Erzbischof in unserer Egokirche verbreitet die Ängste und Dämonen unserer Großväter - zum Hohn einer wiederkäuenden Gesellschaft - ist das unsere höchste Instanz? Das Gewissen? Nichts Poetisches? Nein. Die nackte, die blutige, die harte Wahrheit sticht stahlglatt, steinkarg und messerscharf in unserer Brust und will nur das Eine: die Vernichtung der Lüge. Die Ver-nicht-ung.
OH was für eine Ansammlung an Beurteilungen, liebe Freunde - nichts als gut + böse usw. Oh oh oh da haben wir ja gut hingelangt. Gelogen wie die Tiere. Und jetzt DAS noch. Die ethische, die gute Lüge zur Errettung der Welt, die Notlüge, die Liebeslüge... Unsere Bewertungen purzeln uns entgegen. Was tun?
Befreit die Lüge von der Wahrheit und die Wahrheit von der Wahrheit, dann wird die Lüge die Wahrheit und die Wahrheit die Lüge sein dürfen. Und das Gewissen als Herr Oberstaatsanwalt hat ausgedient und ist auf Jobsuche. Wie wäre es mit FÜHLEN? Oder mit der Poesie? Oder mit Musik? Mit der Liebe? Zu Tode gefühlt, zu Tode gedichtet, geliebt, gespielt? Welch schöner Tod! Und meine letzte Bewertung für heute: I love it.
Die Frage: Wann also ist es angebracht zu lügen? Die Antwort: Wann immer ich es entscheide.