Arthur Heilmann (Theologe):
Ophelia an Hamlet
Du stehst einmal als Stichwort in meiner Rolle, und
ich
kann dich nicht herausreißen, sowenig wie die
Blätter aus
dem Stücke, worauf meine Liebe zu dir geschrieben
ist.
So will ich denn, da ich mich aus der Rolle nicht
zurück -
lesen kann, in ihr fortlesen bis zum Ende und zu dem
exeunt omnes, hinter dem dann doch wohl das eigentli
-
che Ich stehen wird. Dann sage ich dir, ob außer
der Rolle
noch etwas existiert und das Ich lebt und dich liebt.
Liebe Freunde,
Was ist eine Identität? Eine Rolle, die wir spielen?
Eine Maske, die wir aufsetzen? Oder die Summe aller Eigenschaften und Merkmale,
durch die wir uns definieren?
Wir sind erfolgreiche Geschäftsleute, begnadete
Künstler, gute Mütter, zweifelnde Philosophen, gemeine Gangster,
gefährliche Terroristen, totale Versager usw. Diese Liste läßt
sich beliebig erweitern, es macht sogar Spaß. Eine Freundin erzählte,
wie sie mit blonder Perücke ihren Ehemann verführte. Das war
sehr aufregend. Wieviel macht ein Faschingshut aus oder eine Pappnase?
Wir sind ausgelassen wir dürfen unsere Identität verlassen und
in eine andere Haut schlüpfen, für bestimmte Zeit. Welch ein
Vergnügen! Oder fühlen wir uns lächerlich, weil wir unsere
Identität, die wir sorgfältig gehütet haben, preisgeben?
Wir sind schön und elegant. Jetzt dürfen wir niemals hässlich
und schlampig sein. Oje! Was verlieren wir? Uns selbst?
Gerne benennen wir andere mit solchen >Identitäten<:
eklige Skinheads, labile Muttersöhne, protzige Psychopaten, spießige
Beamte, dumme Blondinen....
Wer gibt uns diese Identitäten? Wir ziehen sie den
anderen an. Sie ziehen sie uns an. Wir ziehen sie uns selbst an wie eine
Strumpfhose, oder eine Haut, die wir an uns festnähen. Das Festnähen
tut schon weh an sich, aber was passiert, wenn wir wachsen, größer
oder breiter werden? Die Identitätshaut droht zu platzen, die Nähte
sind zum Zerreißen gespannt, die Haut wird brüchig und porös,
es gibt Lücken und Risse. Es wird immer komplizierter und anstrengender,
uns in dieser Haut zu halten.
Wie einfach haben es da die Schlangen! Sie häuten
sich. Laßt es uns Ihnen gleichtun, und uns selbst aus der alten,
zu engen Haut herausschälen!
Identität hat etwas mit einer Idee zu tun, mit Energie
und mit einem Gedanken, einem Glaubenssystem, einer Überzeugung, die
wir daran hängen wie ein Etikett. Der Tote, der ein Etikett am Fuß
hat... Die Leiche wurde identifiziert... Die Irren nehmen Identitäten
an, von denen sie sich nicht lösen wollen oder können...
Eine Identität ist eine Selbst-Idee, die mit Energie
versorgt wird, ein Selbst-Konzept aufgrund von Mustern, Gefühlen und
Widerständen, die wir in uns tragen und an andere verteilen. Auch
an uns selbst. Andere laden uns ein, ihnen Identitäten überzustülpen
wie ein Kleidungsstück. Wir selbst laden uns dazu ein, uns diese Kleider
oder Häute von Identitäten zuzulegen. Sie sollen uns abgrenzen
und schützen vor der Welt und ihren unbekannten Gefahren. Wir wollen
nicht DAS sein, und nicht DER sein, aber wir sind DIESER oder JENER. Wer
oder was sind wir wirklich?
Eine Identität ist nicht was wir sind, sondern eine
Rolle, die wir uns geben: Eva ist so brav. Was ist, wenn sie mal nicht
brav ist? Ist sie dann nicht mehr Eva? Wer ist sie dann? Edith ist Frisöse.
Was ist, wenn sie nicht mehr Frisöse ist, sondern Musikerin oder Hure
oder Nonne oder Ärztin?
Laßt uns die Frage >wer oder was bin ich wirklich?<
umstellen. Wer oder was wollen wir wirklich sein? Eine Identität kann
ein Spiel sein, wenn wir es selbst bestimmen, und wir der Regisseur
sind in unserem Theater. Am Schluß fällt der Vorhang, der Schauspieler
erscheint als er selbst, wir klatschen Beifall. Laßt uns uns selbst
Beifall klatschen für unsere Rollen, unsere Identitäten. Laßt
uns abgediente Häute liebevoll abstreifen und unsere neue weitere
Haut begrüßen! Laßt uns als die, die wir sein wollen,
unsere Welt begrüßen, und zeigt Euch diese Welt. Je mehr Häute
wir ablegen, desto weiter wird unsere Welt. Je mehr Konzepte von uns und
anderen wir fallenlassen, desto klarer und einfacher und direkter wird
unser Selbst. Wenn wir unser Selbst immer weiter ausdehnen, sind wir fähig,
andere immer mehr mit-hineinzunehmen.