Die Sonntagspredigt vom 15. Juni 1997

Arthur Heilmann (Theologe):

Angst

Liebe Freunde,

Angst scheint zu unserem Leben zu gehören. Sie ist so normal und immer gegenwärtig, daß wir ganz selbstverständlich mit ihr leben. Und doch sind wir fast erleichtert wenn einer unserer Bekannten von seinen Ängsten spricht. Ein Knoten geht plötzlich auf. Das was sowieso da ist und mit dem wir glauben, leben zu müssen wird durch ein solches Gespräch beleuchtet und darf einmal eine Hauptsache sein. Wir hören zu und fühlen uns nah mit diesem Menschen. Er traut sich etwas. Er hat den Mut über seine Angst zu sprechen.

Und etwas geschieht in solchen Momenten: die Angst, die in unerklärlichen Tiefen schlummert wie ein Ungeheuer, das nicht geweckt werden will, ist durch das Sprechen, Untersuchen und Erfassen garnicht mehr so monströs, es ist vielleicht nicht das Allerschlimmste, das was wir in jedem Fall verbergen müssen, es könnte etwas ganz Normales sein. Vielleicht einfach das was es ist, nämlich Angst. Wir sehe unserem Gesprächspartner in die Augen und bewundern seinen Mut. Er ist kein ängstlicher Mensch mehr, er ist ein mutiger Mensch. Wenn wir uns selbst betrachten aus der Forscherperpektive können wir mit diesem Mut viel anfangen. Wir sehen uns handeln. Wir sehen, daß wir oft aus Ängsten heraus handeln, aus Ängsten heraus denken. Daß die Angst vielleicht sogar ein Filter ist, der unser Handeln begrenzt mit: Du darfst das nicht, Du kannst das nicht oder einfach mit Nein, das geht nicht.

Wir alle haben schon einmal in einer für uns wirklich gefährlichen Lage gesteckt. Eine Lage in der es kein Rückwärts gab, sondern nur ein klares Voran und da durch..... Und was ist passiert? Wir denken nicht mehr in so einer Lage, das Unbekannte, das uns erwartet ist zwar furchterregend aber die Lage, in der wir uns befinden erfordert es, diesem Unbekannten mit unserer ganzen Kraft ins Gesicht zu sehen. Eine Situation auf Leben und Tod.

Dann geschieht das Unglaubliche: wir haben uns noch nie so lebendig gefühlt, wir haben es einfach erlebt und unseren Mut, unsere Lebendigkeit gefühlt. Unsere Knie zittern zwar, aber unsere Lebenskraft ist stärker als jemals. Wir sind im gegenwärtigen Moment, in dem die Zeit nicht existiert. Die Zeit zwischen Jetzt und dem Unbekannten, das vor uns liegt. Und wir sind ganz nah an der Quelle unseres Seins. Wir sind nicht mehr beherrscht von unserer Angst. Wir sind jetzt hier. Unsere Angst ist ein Partner geworden, etwas, das lebendig ist wenn wir es ansehen und hineintauchen.

Unser alter Glaube: Ich bin unfähig, mit einer Sache oder einem Gefühl umgehen zu können, es zu handhaben - ist nurmehr ein alter Hut ..., denn wir haben es erlebt, wir können damit umgehen. Wir können die Angst unseren Partner sein lassen - wir können diesen Partner fühlen und anerkennen. Wir sind wieder dort wo wir immer sein wollten, an der Quelle unserer Kraft, und wir sind wieder diejenigen geworden, die wir immer sein wollten: Entdecker und Erforscher unseres Lebens.