Die Sonntagspredigt vom 31. August 1997
Arthur Heilmann (Theologe):
Erleuchtung
Der SINN, der sich aussprechen läßt,
ist nicht der ewige SINN.
Der Name, der sich nennen läßt,
ist nicht der ewige Name.
"Nichtsein" nenne ich den Anfang von Himmel und Erde.
"Sein" nenne ich die Mutter der Einzelwesen.
Darum führt die Richtung auf das Nichtsein
zum Schauen des wunderbaren Wesens,
die Richtung auf das Sein
zum Schauen der räumlichen Begrenztheiten.
Beides ist eins dem Ursprung nach
und nur verschieden durch den Namen
In seiner Einheit heißt es das Geheimnis.
Des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis
ist das Tor, durch das alle Wunder hervortreten
Laotse
Liebe Freunde,
Was ist Erleuchtung? Fragen wir uns. Ist sie erreichbar für uns Menschen? Sind wir überhaupt dazu fähig? Ist Erleuchtung nicht etwas für Gott, für Heilige, für Gralsritter , Gurus oder sonstige gott - ähnliche Wesen? Dürfen wir denn nach Erleuchtung streben? Und wenn, ist es nicht der schwerste Weg, der entsagungsvollste, der Leidensweg , den wir normalen Menschen kaum in der Lage sind, auf uns zu nehmen?
Wir haben von Erleuchteten gehört. Von ihren erstaunlichen Fähigkeiten, ihrer hochenergetischen Ausstrahlung, ihren Taten und Wundern.
Und wir wissen ganz intuitiv, daß der Zustand der Erleuchtung zu uns gehört, denn die Sehnsucht danach ist da, ist tief in uns verankert.
Was verbinden wir mit Erleuchtung? Einssein. Der Zusammenfall der Gegensätze. Die Aufhebung der Getrenntheit. Das pure Sein. Glückseligkeit.
Was hindert uns daran, diesen Zustand zu erleben?
Wir alle kennen die "erleuchteten" Momente in unserem Leben. In diesen Momenten sind wir eins. Mit uns selbst, mit der Welt, mit Gott und dem Universum. Wir fragen nicht mehr, wer wir sind, wir sind einfach.
Die Frage WER BIN ICH hält uns schon lange, seit Menschengedenken in Atem. Das ICH - SEIN versuchen wir durch Definitionen und Abgrenzungen zu fassen. Wir geben dem ICH - SEIN einen sozialen Status, Identitäten, Wünsche, Befürchtungen. Aber SIND WIR wirklich dieser soziale Status, diese oder jene Meinung, dieser oder jener Wunsch? Und haben wir uns jemals eine Antwort auf diese Frage geben können?
Die Aussage "Ich weiß wer ich bin" ist eine Kampfansage. Sie bewirkt die Trennung von anderen, die Trennung von den eigenen Fähigkeiten zur Veränderung. Sie hält uns fest in unseren Begrenzungen. Wer wir sind bestimmt wer wir nicht sind, wer die anderen sind, und wer sie nicht sind. Das ist der Beginn von Furcht, von Kriegen und Gefängnissen.
Wir beginnen mit der Frage WER BIN ICH, und erschaffen ein trojanisches Pferd auf der mentalen Ebene. Wir stellen uns die Frage WER WIR SIND, und bleiben mit leeren Händen zurück.
WER BIN ICH ist eine Frage. Indem wir die Frage stellen, trennen wir uns von der Einheit, vom ewigen SINN. Wir fragen, also erleben wir die Frage. Wir wollen eine Antwort, also erleben wir unseren Wunsch nach der Antwort
...der Sinn der sich aussprechen läßt, ist nicht der ewige Sinn...der Name, der sich nennen läßt, ist nicht der ewige Name...Laotse
Erleuchtung bedeutet, uns selbst nicht mehr als begrenztes Individuum zu betrachten. Erleuchtung ist ein weites Auffächern unseres ICH - Interesses zu einem ALL - Interesse, das alle Facetten und Standpunkte des Lebens beinhaltet.
...in seiner Einheit heißt es das Geheimnis..des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis ist das Tor, durch das alle Wunder hervortreten. Laotse.